Persönliche Transformation

Im Gegensatz zur digitalen Transformation, die oft in wenigen Monaten oder Jahren vollzogen ist, dauert unsere persönliche Transformation sehr viel länger, ein Leben lang, von unserer Geburt bis zu unserem Tod. Ist diese Transformation unser Schicksal? Oder können wir sie aktiv steuern und beeinflussen? Wenn ich jetzt in meinem siebzigsten Lebensjahr zurückschaue komme ich zu der Ansicht, dass ich zu einem Teil geführt worden bin und zu einem anderen Teil aktiv und selbstbestimmt Entscheidungen getroffen habe, die wichtig waren, um im Einklang mit meinen Vorfahren und meiner Umwelt zu leben.

Wie ist es möglich, dass ich meine berufliche Laufbahn 1975 als Finanzbeamter in einer Riesenbehörde gestartet habe und fünfzig Jahre später als mobiler Steuerberater weltweit ganz allein unterwegs bin?

Bereits wenige Monate nach meinem Start beim Finanzamt Hamburg-Nord war mir klar, dass ich nicht dauerhaft Beamter sein könne. Als freier Geist wäre es mir nicht möglich gewesen bis zur Pension fremdbestimmt zu arbeiten. Andererseits wollte ich meine dreijährige Ausbildung dort in jedem Fall erfolgreich abschließen, was mir dann auch gelungen ist.

Die Kündigung bei der Finanzverwaltung habe ich als große Befreiung angesehen, ich war dreiundzwanzig Jahre alt, die Welt stand mir offen. Na ja, nicht so offen wie heute, da gab es ja wenige Kilometer entfernt den eisernen Vorhang zum sozialistischen Ostblock. Also erstmal auf Nummer sicher gehen und in Hamburg studieren war meine Devise. Es gab kein Internet, kein Smartphone und doch empfand ich die Zeit damals als wesentlich freier als sie uns heute vorgegaukelt wird.

Nach dem Studium kristallisierte sich für mich langsam heraus, dass ich selbständiger Steuerberater werden wollte. Der Status als staatsunabhängiger „Freier Beruf“ und Eigenverantwortlichkeit des Handelns, das zog mich magisch an. Aber vorher musste ich unbedingt noch einmal eine längere Europareise mit dem Fahrrad unternehmen, ich sah schon voraus, dass ich später kaum noch längere Urlaubszeiten nehmen könnte.

Europareise 1985

Sechs Monate lang bin ich zum Nordkap und bis in die Türkei geradelt, und auch hinter den eisernen Vorhang nach Bulgarien und Rumänien. Die gesammelten Erfahrungen prägen mich bis heute, egal in welchem Land ich gewesen bin, ich habe durchweg große Unterstützung erhalten. Das Raleigh-Fahrrad steht heute noch in meinem Büro, als dauernde stille Aufforderung: Wolf, wann geht es wieder los?

Wolf Wiedner 1985 mit dem Fahrrad am Stilfser Joch

1985 Am Stilfser Joch

Im Sachsenwald

Schnell stellte ich nach meiner Steuerberaterprüfung fest, dass längere Urlaubszeiten kaum mit der selbständigen Tätigkeit zu vereinbaren waren. Als Alternative wählte ich für die nächsten Jahrzehnte daher Kurzurlaube vor den Toren Hamburgs im Sachsenwald oder Mecklenburg. Mit Freunden und Weggefährten verbrachte ich mehrere Tage im Wald, Unterbringungsart war kalte Platte, also Isomatte und mehrere Kohtenbahnen als Regen- oder Sonnenschutz.  Bei Gewitter war es schon eine gewisse Herausforderung durchzuhalten. Abends am Lagerfeuer schweiften unsere Gedanken oft weit zurück, ob wohl auch frühere Generationen hier so wie wir schweigend am Feuer gesessen hatten? Inzwischen ist es auch wissenschaftlich erwiesen, dass „Waldbaden“ unser Immunsystem stärkt und unterstützt. Ich fühlte mich jedenfalls nach jedem Kurzurlaub im Wald für mehrere Wochen deutlich erfrischt.

2004 Lager im Sachsenwald

Feng Shui oder die Befreiung von unnötigem Ballast

Nach und nach haben meine Weggefährten aus dem Sachsenwald ihre letzte Reise angetreten, heute lebt von meinen vier damaligen Altersgenossen keiner mehr. Zeit auch für mich, mich auf meine Reise vorzubereiten, die wir alle einmal antreten müssen. So dachte ich im Alter von sechzig Jahren und fing an, meine Wohnung stark zu entrümpeln.

Fernseher, Radio und Telefon hatte ich schon lange nicht mehr. Auch von meinem Auto hatte ich mich bereits getrennt. Jetzt fing ich an, konsequent jedes Teil zu entsorgen oder zu verschenken, das ich seit über einem Jahr nicht sinnvoll genutzt hatte. Meine Güte, da kam was zusammen: Möbel, Lampen, Jalousien, Bücher, Klamotten, Geschirr, Werkzeug, Schallplatten, Dekorationsartikel und, und, und. Für alles hatte ich einmal Geld, viel Geld, ausgegeben und heute staubte es vor sich hin. Was würden sich meine Erben freuen, wenn sie das ganze Gerümpel nicht mehr rausschleppen müssten.

Da ich mich so gut vorbereitet hatte wartete ich jetzt darauf, auch meine letzte Reise antreten zu dürfen. Ich wartete und wartete und wartete. Aber nichts passierte, ganz im Gegenteil, die Befreiung von unnötigem Ballast führte dazu, dass meine gestaute Energie befreit wurde und mein ganzes Leben wieder in Schwung gebracht wurde.

Erst später habe ich erfahren, dass diese Entrümpelungsmethode im chinesischen „Feng Shui“ heißt und genau die von mir beobachteten Effekte zur Folge hat. Wenn ich jetzt noch nicht die letzte Reise antreten darf, habe ich wohl noch Zeit für eine andere Reise, meine Weltreise, so deute ich die Zeichen. Aufgrund meiner persönlichen Transformation, meiner Europareise, meiner Waldurlaube und meines seit Jahrzehnten trainierten eigenverantwortlichen Handelns fühle ich mich gut vorbereitet.

Feng Shui in der Wohnung